Madonna mit langem Hals von Parmigianino

Im wunderschönen Ambiente der Uffizien in Florenz nimmt uns die Journalistin und Kulturreporterin Olga Mugnaini mit auf eine Entdeckungsreise zu einem Meisterwerk von Francesco Maria Mazzola, besser bekannt als Parmigianino: die Madonna mit langem Hals (Madonna dal Collo Lungo). Dieses Ölgemälde auf Holz wurde um 1534 begonnen und blieb bis zum Tod des Künstlers im August 1540 unvollendet.

 

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Das Gemälde zeigt Maria, die ein schlafendes Kind auf ihrem Schoß hält. Im Unterschied zu den meisten traditionellen Darstellungen ist Jesus kein Neugeborenes, sondern ein fünf- oder sechsjähriges Kind. 

Die langgestreckte und geschwungene Gestalt der Madonna ist typisch für den Serpentinata-Stil (figura serpentinata) des italienischen Manierismus – einem künstlerischen Stil, der von einer anti-klassischen Ästhetik inspiriert ist.

Die Darstellung von Maria bricht mit der Tradition: ihr Hals ist elegant geschwungen, fast sinnlich, was dem Gemälde seinen Namen gibt; ihr weißes Kleid ist so dünn, dass wir ihren Bauchnabel sehen können. Die Madonna trägt keinen Schleier; ihre Haare sind zu einer aufwändigen Frisur mit Perlen und einem Diadem gebunden. Ihr Lächeln ist sanft, doch ihre Augen, die auf Jesus hinunterblicken, strahlen Nachdenklichkeit und Melancholie aus – sie weiß bereits, welch tragisches Schicksal ihrem Sohn bevorsteht.

Die Haltung des Kindes wirkt auf den ersten Blick schlaff und unsicher – die Pose erinnert uns an den toten Christus von Michelangelos Pietà im Vatikan. Dies ist auch eine Anspielung auf das Opfer Christi und zeigt sich auch in dem sich auf der Vase spiegelnden Kreuz, die der Engel auf der linken Seite emporhält.

Im rechten Teil des unvollendeten Gemäldes, hinter der Madonna, erstreckt sich ein weiter Raum mit einer Reihe von Säulen ohne Kapitelle. Ihre Schatten sind an ihrer Basis zu erkennen, während im oberen Bereich nur eine einzige Säule dargestellt ist. Dieses Detail verweist auf den Tempel Salomos und symbolisiert gleichzeitig die Reinheit, die oft mit der Jungfrau Maria im Hoheslied (Cantico de’ Cantici) in Verbindung gebracht wird. Ein Loblied auf Maria besagt: “Collum tuum ut colonna” (dein Hals ist wie ein Turm) – was die Betonung des Nackens Marias im Gemälde erklärt.

In diesem Kunstwerk zeigt sich ein typisches Merkmal des Manierismus: die Verzerrung der menschlichen Proportionen. Der Hals der Jungfrau ist auffallend lang im Vergleich zu ihrem Körper, der sogar doppelt so groß ist wie der der Engel auf der linken Seite. Mit seinen langgestreckten, schlanken Figuren bricht Parmigianino mit dem traditionellen Gleichgewichtssinn der Renaissance und verleiht seinen Gemälden dadurch ein komplexeres und eleganteres Erscheinungsbild. Auf diese Weise erzielt er ein unnatürliches, aber zweifellos raffiniertes Aussehen.